"Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt"

Die interdisziplinäre Tagung am 3. bis 5. Juni 2010 an der HBK Braunschweig, organisiert von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab

Anfang Juni 2010 hat die Tagung "Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt" in Braunschweig versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft mit auszufüllen und die Komplexität des Phänomens Metal herauszustellen. Dieser Blog bündelt die Perspektiven der Konferenz und versucht den dort interdisziplinär zusammengeführten Strom aus Ideen, Projekten und Perspektiven vorläufig fortzuführen.

Donnerstag, 22. März 2012

World Music


Anlässlich des soeben erschienenen schönen Coffee-Table-Books über Metalheadz von Jörg Brüggemann sei hier doch einmal ausführlich aus dem Vorwort zitiert... jedoch auch darauf verwiesen, dass die Herren Richter, Dörting, Gehrs und Petrozza auch Erhellendes beigetragen haben...


Weltmusik
Irgendwann um die 1970er Jahre herum ist etwas mit dem Rock´n´Roll geschehen. Irgendwo zwischen Blue Cheer, Led Zeppelin, Iron Butterfly oder Black Sabbath erklang ein heavy Gitarren-Riff, begann jemand auf eine ganz bestimmte Weise von den Nachtseiten des Lebens zu singen – und alle drehten den Lautstärker-Regler ganz weit nach oben. Wenn wir uns heute, ein halbes Leben später, fragen, was da geboren wurde und ob es noch lebt, dann hilft es wenig, MTV anzuschalten und auf eine Episode von »The Osbournes« zu warten. Wenn wir wissen wollen, ob der Bastard des Rock´n´Roll lebt, dann müssen wir auf unzählige Felder, Äcker und Arenen Europas gehen, in verbotene Clubs im Iran, einen Plattenladen in Peking, in eine Bar in Jakarta, zu den Xavante nach Mato Grosso oder das Desert Rock Festival nach Dubai.

Der Heavy Metal hat sein ›heavy‹ verloren und ist nur noch Metal. Metal ist kein Genre mehr, nicht mehr eindeutig musikalisch zu benennen oder einzugrenzen, sondern eine facettenreiche, lang- und quicklebendige, in eine unüberblickbare Menge von Sub-Sub-Genres aufgesplitterte Kultur. Die aber ein Gesicht hat, oder besser noch: einen Körper. Einen schwarz gekleideten Körper, einen mit Aufnähern und Band-T-Shirts lesbar gemachten Körper, einen Körper der schwitzt, seine Haare fliegen lässt, einen Körper, der tanzt, brüllt, berauscht ist. Metal ist der Körper des Fans, Metal ist Power.

Power, so schreibt der amerikanische Musikwissenschaftler Robert Walser, ist neben der Intensität der Erfahrung, der Freiheitsanmutung und dem Gemeinschaftsgefühl eines der wichtigsten Elemente, die die Kultur des Metals auszeichnen. Damit aber gibt Walser den Fingerzeig, der zu verstehen hilft, was Metal ist. Metal, das ist der Fan. Wer verstehen will, was Metal ist, der darf nicht (nur) die Musik hören, der muss (vor allem) die Fans sehen. Und der muss ein ganz bestimmtes Spezifikum dieser Kultur verstehen, nämlich dass es beim Metal ›nur‹ um die Musik geht: »Man kann sich jemanden vorstellen, der von sich behauptet, Punk zu sein, ohne Punk zu hören. […]Im Gegenversuch scheitert das Gedankenexperiment: Es lässt sich nicht sinnvoll ein Metal-Fan konzipieren, der keinen Heavy Metal hört« (Tobias Winnerling).

Metal ist also eine Kultur, die ›nur‹ aus Musik und ›nur‹ aus einem Musik-Fan besteht. Was wie eine negative Beschreibung anmutet, führt aber zum einzigartigen Kern des Metals. Metal ist eine Subkultur, die auf das Wesentliche reduziert ist – die power der Musik, auf einen Ritus, die Musik und Musikhören als Sinnstiftung feiert, die Musik zur Messe macht. Die Fotos in diesem Buch zeigen uns diese Fans: quer durch die Kontinente und Nationen, quer durch die Generationen – quer durch die Geschlechter. Es sind schwarz-blau uniformierte Fan-Körper, die aber ihre Lederjacken, T-Shirts und Tatoos nicht nur als Ausdruck der Zugehörigkeit zur Metal-Army tragen, sondern auch als Ausdruck bedingungsloser und sinngebender Individualität. Keine Kutte gleicht der anderen, das corpsepaint ist ein Einzelstück und das Bandshirt ist zwar immer ein auch ein Bekenntnis zur globalen Merchandising-Kultur, aber eben auch ein Statement über die ganz eigene Verfasstheit seines Trägers. Ein zwölfjähriger Spanngenträger im Accept-Shirt hat viel, letztlich aber eben auch recht wenig mit einem 20jährigen Cannibal Corpse-Träger gemein.

Die Bilder zeigen uns, dass die Idee des typischen Metal-Fans als weißem, pubertierendem Jungen aus dem Vorort oder der Provinz ein Klischee ist. Natürlich sind auch weiße pubertierende Jungs Metal-Fans (und tragen Spange zum Accept-T-Shirt) – aber im Gegensatz zum Miley Cyrus-Konzert steht die begleitende Mutter hier nicht an der Rückwand der Halle und wartet darauf, den Sprössling endlich wieder nach Hause fahren zu können. Hier steht die Mutter ebenfalls in der ersten Reihe, wo sie wohl auch schon vor 20 Jahren gestanden hat. Und vor allem: Der pubertierende Junge ist nicht nur weiß. Im Gegenteil ist er in jeder denkbaren Hautfarbe auffindbar, manchmal auch ein Mädchen, und manchmal hat er oder sie die Pubertät auch schon weit hinter sich gelassen.

Metal stiftet Sinn und strukturiert den Alltag. Das tun andere Fan-Kulturen auch. Das Einzigartige am Metal ist aber, dass er diese Funktionen nun seit über 40 Jahren übernimmt und es auf jeweils ganz eigene Weise weltweit tut. Einzigartig ist aber auch die Unsichtbarkeit, mit der dies von statten geht. Im Kontrast zu Lautstärke und Pose seiner Konzerte und Ästhetik steht die Neigung des Metals, sich dem Blick zu entziehen. Metal ist zu alltäglich, um wirklich gesehen zu werden. Metal ist zu präsent, um da zu sein. Metal und seine Fans existieren im Herzen der Gesellschaft und doch auch auf eine ebenso merkwürdige Weise kulturell entrückt. Es bedarf eben eines Blicks wie den, den dieses Buch entwickelt, um den Metal ›wieder zu sehen‹. Erst wenn der Metalhead nicht mehr neben mir in der U-Bahn sitzt sondern auf einem indonesischen Kleintaxi, wird er (verstörend, verfremdet) für ein europäisches Auge wieder sichtbar. Gerade weil wir glauben, den Metal so gut zu kennen (er war ja immer da gewesen), verstehen wir ihn so wenig. Was bekannt ist, ist nicht unbedingt erkannt. Metal erscheint uns zu normal, als dass er uns als etwas Anderes, Größeres, Wichtigeres erscheinen könnte. Wir begreifen es als natürlich, dass ›man‹ irgendwann in seinem Leben laute Gitarrenmusik hört und sich die Haare wachsen lässt. Es erscheint uns als ein fast notwendiger Schritt der Adoleszenz. Aber wir sehen nur selten, das viele dieser ›mans‹ einfach gar nicht aufhören wollen, laute Musik zu hören, in bestimmte Clubs zu gehen und einen bestimmten Dresscode zu tragen. Und dass die es nicht tun, um ihre Eltern zu ärgern, sondern weil es ihnen etwas gibt. Metal produziert einen Überschuss an Sinn, der über Pubertät, Abgrenzung, Provokation und Eltern-ärgern hinaus geht, der schwer zu greifen ist, der aber, wie viele der wirklich wichtigen Dinge im Leben, auch ungreifbar bleiben darf. Wer will schon Liebe auf die fünfte Stelle nach dem Komma ausrechnen?

Und noch ein Klischee suspendieren die Bilder eindrücklich – nämlich das Klischee vom unpolitischen Metal und vom unpolitischen Metal-Fan. Wie unpolitisch kann eine community sein, die sich quer durch die Kontinente, Einkommensschichten, Bildungshintergründe und Generationenbrüche konstituiert? Auf eine bestimmte Weise ist Metal eine globale Kultur. Allerdings weniger, weil der Markt und die Industrie ein Produkt in die weltumspannende Vermarktungszirkulation geworfen haben, sondern viel eher, weil sich zwei wildfremde Menschen an einem ihnen unbekannten Ort über vielen Barrieren hinweg solidarisieren werden, wenn sie das T-Shirt ihrer jeweiligen Lieblingsband am anderen entdecken.

Wir wollen hier nicht die Macht der global agierenden Kulturindustrie im Treffen zweier sich unbekannter Megadeth-Fans aufgehoben sehen – das würde zu weit gehen. Dennoch artikuliert die globale Metal-Community eine veritable Dissidenz gegenüber dieser Industrie. Zum einen, weil die Community es schafft, die Notwenigkeit einer solchen Industrie anzuerkennen, diese Industrie dann aber irgendwie gleich selbst macht und sie dabei wie eine Parodie ihrer selbst aussehen lässt (wer das nicht glaubt, muss sich Andreas Geigers hervorragende Dokumentation »Heavy Metal auf dem Lande« über das größte Metal-Label Nuclear Blast anschauen) . Zum anderen aber, und das scheint wesentlicher, weil sie dem Globalen der Kulturindustrie vehement und zentral das Diktum des Lokalen entgegen stellt. Metal artikuliert sich vor Ort: im winzigen Festival, dem Konzert der lokalen Szenegröße, im Proberaumkeller. Und gerade das politisiert den Metal so ungemein: Metal stiftet Sinn und gibt Halt, spätestens sobald mehr als drei Metaller zusammen sind. Metal macht ein Angebot, aus einem reglementierten Alltag auszubrechen. Ist dieser Alltag lediglich durch Hausaufgaben und Müll-Rausbringen reglementiert, mag das politische Potential des Metals nicht sofort ersichtlich sein. Ist die Reglementierung jedoch durch Armut, Hautfarbe, einen Wächterrat oder den obersten Zensor bestimmt, dann können drei headbangende Metaller politischer nicht sein.

Der ›glokale‹ Metal ist auch eine widerständige Kultur, die auf hintergründige Weise eine Provokation für die Mehrheitskultur darstellt und gerade durch die sinnlichen, körperlichen Elemente auch den Menschen einen Freiraum in einer reglementierten Kultur verschafft. Metal, so könnte man etwas euphorisch formulieren, lässt sich als die einzig genuine Weltmusik bezeichnen: Auch wenn Metal eine eindeutige Ikonographie und eine elaborierte musikalische Form aufweist, so fügt er sich doch in die jeweiligen kulturellen Kontexte ein und bringt lokale Kulturen im globalen Maßstab hervor – wie nicht zuletzt die Bilder in diesem Buch zeigen.

Rolf F. Nohr

Erwähnte Quellen:

Heavy Metal auf dem Lande (BRD, 2006) R: Andreas Geiger

Walser, Robert (1993) Running With The Devil. Power, Gender and Madness in Heavy Metal Music. Hanover, London: Wesleyan University Press.

Tobias Winnerling (2011): »The same song and dance«. Kollektiver Individualismus und das Heavy Metal Universe. In: Rolf F. Nohr/ Herbert Schwaab (Hg.): Metal matters. Heavy Metal als Kultur und Welt. Münster: Lit, S. 457–476.

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