"Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt"

Die interdisziplinäre Tagung am 3. bis 5. Juni 2010 an der HBK Braunschweig, organisiert von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab

Anfang Juni 2010 hat die Tagung "Metal matters - Heavy Metal als Kultur und Welt" in Braunschweig versucht, eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft mit auszufüllen und die Komplexität des Phänomens Metal herauszustellen. Dieser Blog bündelt die Perspektiven der Konferenz und versucht den dort interdisziplinär zusammengeführten Strom aus Ideen, Projekten und Perspektiven vorläufig fortzuführen.

Freitag, 9. Juli 2010

Die unbeherrschte Pose: Missglückter Metal der 1980er Jahre


Die Band Trance, die sich später aufgrund von Problemen mit ihrem Management in Trancemission umbenennen mussten, sind ein gutes Beispiel für die von der Tagungsbeschreibung behauptete Randständigkeit und Künstlichkeit von Metal. In der Tagung selbst hat dieser Gedanke dann doch keine so große Rolle gespielt, daher soll hier ein Beispiel nachgereicht werden. Trance kommen aus einer kleinen Stadt in der Südpfalz und standen trotz ihre provinziellen Herkunft in den 1980er Jahren kurz davor, den Durchbruch zu schaffen, angeblich eben so groß zu werden wie die Scorpions, dessen Manager sie dann kurzzeitig hatten. Ihr Sänger und Gitarrist galt als großer Virtuose mit professioneller Ausbildung und lebt noch heute von Auftritten, entweder mit seiner alten Heavy Metal Band oder als singender Clown für Veranstaltungen in Kindergärten. Eine Ästhetik des 'make believe', des Versuchs, etwas zu verkörpern und zu spielen und uns glauben zu machen, harte, für die Freiheit um der Freiheit willen kämpfende Menschen zu sein, zeigt sich in diesem Video. Dieses Posenhafte bestimmte und bestimmt schon immer viele Formen des Metal, vor allem den Hair Metal oder auch den True Metal. Das Vorspielen einer bestimmten Identität, die Macht, Potenz, Hedonismus, Freiheit verkörpert, stellt die Essenz früher Formen des Metal dar und mag heute etwas zurückgedrängt worden sein. Das lässt sich sehr gut an diesem Video festmachen. Die Kleidung stimmt, die Gesten sind bekannt, die Musik gilt unter Puristen als besonders gute Variante echten, klassischen Metals. Aber irgendetwas, sogar besonders viel, stimmt nicht an dem Video zu dem Song "Break the Chains". Die Inszenierung kippt immer wieder unfreiwillig ins Lächerliche, es ist nicht so leicht diese Posen zu beherrschen. Die wichtigste Pose des 1980er Metals ist, während des Gitarrenspiels immer wieder für kurze Momente gönnerhaft mit dem Zeigefinger auf das (hier imaginäre) Publikum zu deuten (meiner Erinnerung nach bestand die Bühnenshow eines Gitarristen der Band Ratt 1987 aus nichts anderem als dieser Geste). Selbst diese einfache Geste misslingt hier. Der Sänger und Gitarrist gerät aus dem Takt der Playbackeinspielung und findet mit seinen Finger nicht mehr schnell genug zu den Saiten zurück. Auch die alternative Variante, immer wieder die Faust zu ballen und den Arm zu schwingen, missglückt. In einem anderen Moment, als die Hand Richtung Kopf geht, fällt ihm in der Schnelle keine Geste ein und er tippt lasziv und schüchtern grinsend mit dem Finger auf seinen Mund, sicher nicht das, was geplant war. Auch der Sologesang am Anfang bewegt sich an der Grenze zur Peinlichkeit, aber der Mut ist zu bewundern, den Song auf diese Weise zu beginnen. Die Band glaubt an sich und nimmt ihren Metal (zu) ernst, vielleicht fällt es ihnen deswegen so schwer, das Bild Metal vorzuspielen. Das Video rührt und beantwortet zugleich die Frage, warum es diese Band dann doch nicht geschafft hat. Die Inszenierung muss wenigstens ein wenig beherrscht werden, Fehler wie in diesem Video werden nicht verziehen, auch das Aussehen muss einigermaßen stimmen. Metal ist wie jede Musik, trotz der Konzentration auf die Virtuosität ihrer Spieler, eben doch eine Musik, bei der der Look wichtig ist. Aber das Video birgt einen großen Erkenntniswert in sich, es macht durch das Misslingen den Versuch der Konstruktion deutlich und es vermittelt auch etwas von der Sehnsucht, etwas anderes zu sein und verkörpern zu können, was vielleicht vom Fan besser verstanden wird als vom Musiker, der auf der anderen Seite steht. Auf jeden Fall handelt es sich um ein faszinierendes Beispiel für Metal aus den 1980er Jahren, das mich sofort in diese Zeit zurückkatapultiert und mich viel von ihr verstehen lässt.
Herbert Schwaab

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen